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Das OBD III Märchen

Seit Jahren kursieren im Internet Webseiten (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3), die den Anschein von seriösität erwecken und mit Insiderwissen über die Zukunft von OBD prahlen: OBD III (OBD3) steht kurz vor der Umsetzung. Aber auch in der Literatur finden sich die gleichen Aussagen:
"In den USA gibt es bereits Überlegungen, eine OBD III einzuführen. Bei dieser OBD sollen keine Einzelteilprüfungen mehr am Fahrzeug durchgeführt werden. Im Fahrzeug soll sich ein Transponder befinden, der auftretende Fehler via Satellit an eine zentrale Leitstelle weitergibt."
Service-Fibel On-Board-Diagnose, Uwe Rokosch, Vogel Business Media; Auflage: 1. A. (August 2006), ISBN-10: 3834330027, Seite 145
Der Tenor ist stets, daß OBD III sich direkt in der Entwicklung befindet und eine der wichtigsten Eigenschaften sein wird, daß auftretende (umwelttechnisch kritische) Fehler (per Satellit) an eine Zentrale übermittelt werden, so daß entweder das Auto stillgelegt wird oder zumindest Behörden und der Fahrer informiert werden. So kann eine Abgasuntersuchung außerhalb der normalen Intervallzeit aungeordnet werden. Die geschieht, damit der Fehler nicht erst bei der nächsten Hauptuntersuchung aufgedeckt wird und die Umwelt so lange (über Gebühr) belastet wird. Angefeuert werden Spekulationen auch durch entsprechende Präsentationen (PDF), die ein derartiges Szenario thematisieren. Wer sich mit der Materie auskennt, nennt Konzepte zur Überwachung des Fahrzeugzustandes eher "Remote OBD". Wie das ganze prinzipiell aussehen soll kann man auf einer Grafik bei Systech sehen.

Was ist nun dran an solchen Behauptung? Kurz gesagt: nichts.

Natürlich kann auch ich nicht in die Zukunft blicken und weiß nicht, was diese bringt. Aber ich kann zumindest ein paar mir vorliegende Fakten und Erfahrungen nehmen und anhand dieser erklären, warum eine derartige Entwicklung derzeit nicht zu erwarten ist.

Fangen wir mit dem auffälligsten an: Die Daten werden per Satellit gesendet. Das entbehrt jeder Logik, denn eine Satellitensendeanlage ist sehr aufwendig zu betreiben und sehr teuer in der Nutzung. Blickt man auf die derzeit erhältlichen Satellitentelefone wird das schnell deutlich: Es gibt schon mal kein System, welches wirklich weltweiten Empfang bietet. Verzichtet man auf ein paar exotische Regionen, dann verbleiben drei Systeme. Die Anschaffungskosten für ein Telefon liegen zwischen ca. 600,- und 2.000,- Euro. Die Gesprächsminute liegt irgendwo bei etwas unter einem Euro. Das bedeutet also eine immense Verteuerung eines jeden Fahrzeuges. Da es nichts bringt, wenn das System nur im Fehlerfall eine Nachricht absetzt (denn dann kann man ja das System einfach deaktivieren und die Empfangszentrale geht von einem intakten Fahrzeug aus), muß in regelmäßigen Abständen eine Statusmeldung gesendet werden. Allein bei täglich einer Nachricht entstehen so Betriebskosten von etwa 300,- Euro pro Jahr. In einem Vortrag (PDF) vom CARB wird sogar davon gesprochen, daß der OBD Link (also die Überwachungseinheit im Auto) mir dem Fahrzeug alle zwei Minuten kommunizieren muss - eine ähnlich hohe Kommunikationsrate für die Statusmeldung zur Überwachungszentrale könnte also angedacht sein. Da hilft nur eine Fltrate und die ist bei Satellitentelefonen nicht im Angebot. Selbst wenn die Kosten geringer sind: wer soll diese tragen? Aber der Hauptgrund, warum eine Satellitenübertragung blödsinn ist, ist die Antenne: diese ist stets relativ groß und es ist immer eine freie Sicht zum Himmel erforderlich. In waldreichen Gebieten, Bergtälern und Großstädten ist dies nicht gegeben und somit ist gar kein Sendebetrieb möglich oder nur sehr selten. Für eine sinnvolle Überwachung genügt es aber nicht, nur gelegentlich Botschaften senden zu können.
Die Mär von der Satellitenüberwachung entbehrt also jeder Grundlage.

Alternativ bietet sich eine Kommunikation per GSM oder einer anderen Datenübertragung per Mobilfunknetz. Diese ist technisch und preislich wenigstens realisierbar. Ich habe meine Zweifel, daß es in naher Zukunft Fahrzeugherstellerseitig und verbindlich umgesetzt wird, denn die Automobilindustrie ist nicht einmal in der Lage ein simples und gewolltes System wie eCall zu realisieren. Dabei sind auch hier alle notwendigen Komponenten (Navi, Handy, Freisprecheinrichtung, Crashsensoren usw.) in einem (gehobenen) Fahrzeug bereits integriert und müßten nur noch funktional vereint werden. Und auch die Notrufzentralen existieren schon - im Gegensatz zur OBD III Datensammelzentrale, deren Infrastruktur erst noch geschaffen werden müßte.

Wie wäre es mit eine OBU wie beim Mautsystem? Auch hier: wer trägt die Kosten von ca. 500,- Euro pro Gerät? Und das System ist nur in Deutschland einsetzbar, da andere Staaten andere Mautsysteme nutzen. Also wäre ggf. eine weltweite Aufrüstung mit Mautbrücken oder ähnlichen Empfangsstationen notwendig. Damit aber auch Fahrzeuge erfaßt werden, die nicht auf der Autobahn (oder nur sehr selten) unterwegs sind, wäre eine flächendeckende Installation auch in ländlichen Regionen erforderlich - wohl kaum zu erwarten, da nicht finanzierbar.

Noch eine Idee: WLAN. Wer mitdenkt sieht schnell das Problem: flächendeckende Zugangspunkte sind nicht vorhanden. Aber hier spielt vor allem auch die eingeschränkte Reichweite und das Roaming eine Rolle: ein fahrendes Fahrzeug ist viel zu schnell an einem Zugangspunkt und dessen Empfangsradius vorbeigefahren.

Betrachten wir einen weiteren Aspekt: den Datenschutz. Da sind die US-Amerikaner sicher nicht so zimperlich wie wir in Europa und Deutschland aber Prozesse wie die Fluggastdatenübertragung und Übermittlung von SWIFT Bankdaten zeigen, daß wir Europäer auch ganz leicht vor den Amis kriechen. Ein weiterer Beitrag zu OBD III zeigt auf, daß remote OBD im Prinzip den 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten untergräbt:
OBD-III raises 4th Amendment search and seizure privacy issues:
"The right of the people to be secure in their persons, houses, papers and effects, against unreasonable searches and seizures shall not be violated..." [...]
From legal perspective, it is unprecedented: previous cases have looked at surveillance of individuals
Natürlich wird bei jedem remote OBD Verfahren stets betont werden, daß keine Nutzungs-, und Bewegungsprofile etc. gespeichert werden. Doch glaubt diese Beteuerungen noch irgendwer? Es wird im Gegenteil eher ein Aufschrei gegen die Datenerhebung geben und eine langjährige Phase der gegenseitigen Annäherung beider Interessenslager. Bei den Lkws hat es noch kaum einen interessiert (zumal sich die Erhebung auf Autobahnen und wenige Bundesstraßen beschränkt) - bei der Masse an Pkw-Nutzern wird es anders aussehen. Verhindern werden Datenschutzbedenken ein remote OBD System nicht, aber doch verzögern, verteuern und beschränken.

Bis hier ging es nur um die offensichtlichen Gründe, die gegen die Behauptung, OBD III komme, sprechen. Natürlich gab es auch schon Versuche zu remote OBD und alle sind sie bisher mehr oder weniger wieder in der Kiste verschwunden. Im Staat Oregon in den USA hat man es ein wenig ausprobiert und eine Reihe an Zugangspunkten etc. geschaffen. Für Taxis sollte es in der ersten Stufe funktionieren. Allein der Umstand, daß man keine Informationen dazu im Internet findet, dürfte Anzeichen genug sein, daß der Versuch nicht so erfolgreich war. In Kalifornien gibt es das "California Smog Check Continuous Testing Program" (PowerPoint Präsentation, Wikipedia): Hierzu gibt es von zwei Anbietern (Networkfleet und PaxTel) eine Diagnosebox, die mit der OBD II Buchse verbunden wird und per GSM die Daten sendet. Die Fahrzeugeinheit 5500L von Networkfleet kostet 350,- US$ einmalig und monatlich weitere 30,- US$. Dafür müssen die freiwilligen Teilnehmer dann nicht mehr zu den Abgasuntersuchungen fahren - wohl kaum genug Anreiz für die Investition.

Heikel ist ein weiterer Aspekt: Zumindest in Deutschland wäre die Installation einer remote OBD-Box ein Eingriff in das Fahrzeug, der sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Im Grunde kann nämlich dadurch die Betriebserlaubnis des Fahrzeuges erlöschen. Alle fest installierten Geräte in einem Fahrzeug (und dazu würde die Box ja gehören, da es unlogisch wäre, wenn der Fahrer sie einfach entfernen würde), bedürfen entweder einer nationalen Betriebserlaubnis für Fahrzeugteile oder einer Typgenehmigung mit ECE-Prüfzeichen.

Interessant ist auch, das es im Web zwar keine Erkenntnisse über den Erfolg von remote OBD zu finden gibt, aber ein sehr umfangreiches Memo (PDF) zur Frage, wie man derartige Systeme sicher gegen Manipulationen machen kann. Bereits in der ersten Auflage meines Buches Fahrzeugdiagnose mit OBD habe ich schon 2007 zu bedenken gegeben, daß es für einen versierten Techniker nicht sonderlich schwer sein wird, ein solches System zu hintergehen. Inzwischen (seit 2010) hat auch das Center for Automotive Science & Technology at Weber State University (besser bekannt als OBD Clearinghouse) die Problematik erkannt und behandelt in seinem Memo "Recommended Guidance for Remote OBD I/M Programs" (Empfehlungen für Fern-OBD Inspektions-/Wartungsprogramme) mögliche Angriffszenarien und deren Abwehr - und weit und breit kein Wort von OBD III. Ohne eine sichere Lösung ist das ganze Thema nämlich hinfällig. Und ich stehe weiterhin zu der Behauptung, daß es nicht sonderlich schwer ist, ein solches System mit falschen Daten zu füttern oder ganz zu umgehen, denn für Wartungsarbeiten muß die Diagnosebuchse weiterhin zugänglich sein und solange nicht verplompte Leitungen benutzt werden, ist da nicht viel Schutz vorhanden. Da es aber für viele Fahrzeugbesitzer billiger sein kann, das System zu sabotieren, als Fehler am Fahrzeug zu beheben, bleibt offen, wie weit sich ein Staat auf eine solch unzuverlässige Methode allein verlassen will.

Wie zu sehen ist: Es ist gar kein neuer OBD Standard notwendig, um Daten aus dem Fahrzeug heraus an eine Sammelstelle zu senden. Es ist auch gar nicht Aufgabe von OBD sich darum zu kümmern, was mit den Daten gemacht wird. Aufgabe der On-Board Diagnose ist es, Fahrzeugdaten über eine Schnittstelle bereitzustellen. Über OBD II sind alle relevanten Daten bereits verfügbar und sollte irgendein Wert noch nicht vorhanden sein, dann kann der bestehende Normenstandard einfach in einer überarbeiteten Version den Wert mit aufnehmen. So ist das auch bisher schon geschehen und die Normen sehen auch entsprechende Positionen für Ergänzungen vor. Es gibt also eigentlich gar keinen Grund, OBD III zu entwickeln. Und es geschieht auch nirgends. Bei den zuständigen Normierungsistitutionen SAE und ISO würden derartige Bestrebungen sich in Form von Vorabversionen finden - nichts davon existiert. Auch bei der Europäischen Union sind keinerlei Gesetzestexte zu finden, die sich mit OBD III befassen - sehr wohl aber einiges zu OBD II. Solange es also kein europäisches Gesetz gibt, wird es auch in der EU keine Umsetzung geben. Natürlich kann z. B. Kalifornien einen eigenen Weg gehen - so wie sie es schon gemacht haben, als der Staat die erste Version von OBD durch das California Air Resources Board (CARB) vorschrieb und damit eine Vorrteiterrole übernahm. Das ganze könnte sich dann vielleicht auch "California OBD III" nennen. Aber es wäre noch kein internationaler Standard (auch wenn sich dann die meisten Fahrzeughersteller daran orientieren werden, da sie auch weiterhin Fahrzeuge in Kalifornien verkaufen wollen). Aber selbst das CARB bietet nicht viel an Infos zu OBD III. Das einzig auffindbare Dokument (PDF) stammt aus dem Jahr 2009 und sagt selbst, daß "OBD III" nur ein gebräuchlicher Ausdruck (aber eben kein Standard) für die Technik des übertragens von OBD II-Daten ist:
The concept of remotely receiving OBD information from vehicles is often referred to as OBD III.

[...] vehicles with OBD II information transmitters [...]